Quasimodigeniti , 19.4.2020 Onlinepredigt Manfred Lehnert Trautskirchen, Jes 40,26-31
Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen!
Große Bedrängnisse haben diese Menschen erlebt. Krieg, Gewalt und Verschleppung. Viele sind gegen ihren Willen verschleppt worden in ein fremdes Land, fern ihrer Heimat. Eine einschneidende Krise machen sie durch, an die sich ihre Nachfahren noch Jahrhunderte danach erinnern werden. Voller Angst und Zweifel erleben sie ihre schwere Zeit und fragen sich: Wo ist unser Gott? Weiß er überhaupt, wie es schlecht es uns geht, weit weg von Zuhause?
Ich sehe den Adler vor mir über den Himmel schweben mit Adlersflügeln.
Ein kraftvolles Bild, aber ich spüre auch die Müdigkeit eines ganzen Volkes, das nicht mehr kann und will. Es fühlt sich nicht wie ein Adler. Es fühlt sich eher wie ein Huhn unter lauter Hühnern. Ich spinne diesen Gedanken weiter:
Manchmal fühle ich mich wie ein Huhn zur Bodenhaltung verdonnert, eingegrenzt und eingezäunt.
Wie ein Vogel, unfähig zu fliegen,
flatternd, hin und her suchend, pickend, immer auf der Suche nach einem Korn.
Manchmal fühle ich mich wie am Boden eingesperrt,
unfähig mich groß zu bewegen,
eingesperrt von Ausgangsbeschränkungen und den Erwartungen anderer.
Und sie reden mir ein,
ein Huhn zu sein, ein Huhn unter vielen Hühnern, die alle denken und picken wie ich.
Manchmal wird mir alles zu viel oder auch zu blöd
und ich möchte einfach meine Ruhe habe,
Ein Abstand und gewisse Distanz zu den Zwängen und Notwendigkeiten dieser Welt
Das täte mir gut!
Manchmal habe ich das pickende Tun und Machen eines Huhnes satt,
bin sogar des Zuhörens müde
und der Forderungen leid.
Manchmal wird alles um mich herum zu laut, das Geschrei der anderen nervt.
Alle stürzen auf mich ein,
alle zerren an mir zerren und jedes Huhn will etwas von mir:
Erledige das, tue das, vergiss nicht den,
lass das sein, sprich zu diesem
und schweige zu jenem.
Manchmal fühle ich mich so kraftlos wie ein Huhn am Boden.
Hilflos den Zwängen und Anforderungen um mich herum ausgeliefert,
ohnmächtig, aus meiner Rolle als Huhn herauszuschlüpfen,
und dann möchte ich wie ein Vogel fliegen,
zuerst wie ein Spatz, oder Rotkehlchen mit den Flügeln unaufhörlich schlagen.
Aber dann entdecke ich zu meiner großen Freude,
ich bin ein Adler!
Und ich beginne
wie ein Adler meine Flügel ganz weit auszubreiten,
Ein paar Mal schwinge ich zaghaft mit den Flügeln,
bis ich dann doch tatsächlich abhebe
und frei bin von aller Bodenhaftung.
Und ich spüre mit jedem Flügelschlag
Wie die Kraft wächst und neue Kräfte mir zukommen.
Meine weiten Flügel tragen mich ohne Anstrengung in den Himmel.
Frei wie ein Adler drehe ich hoch oben im Himmel meine Runden,
mühelos schwebend, mühelos kreisend.
Und bin ich oben, beginne ich mich von allem lösen, was mich belastet und noch belastet,
Die Sorgen auf der Arbeit, die Probleme mit dem Chef, die Sorge um die anderen.
Auch diese Corona-Epidemie mit all ihren Folgen.
Ich lasse alles hinter mir.
Nichts schränkt mich ein.
Nichts kann mich am Boden fesseln.
Es gibt keine Grenzen.
Alle ist mir möglich,
ich bin frei wie ein Adler.
Frei wie ein Adler in der Luft, über den Wolken seine Runden dreht,
wo die Freiheit grenzenlos scheint.
Frei wie ein Adler hoch oben im Himmel,
entscheide ich selbst, wie nahe ich der Welt mit ihren Sorgen kommen will,
Ich habe es selbst in der Hand, genauer, in den Schwingen,
ein Flügelschlag und ich drehe ab.
Niemand kann mich zu irgendetwas zwingen.
Frei wie ein Adler hoch oben im Himmel drehe ich hoch oben meine Runden.
und wenn ich nach unten sehe mit scharfem Adlerauge,
sehe ich alles mit anderen Augen,
aus anderer Perspektive, mit mehr Überblick.
Und ich sehe plötzlich keine Probleme mehr
und keine Herausforderungen,
sondern erkenne Zusammenhänge und Lösungen
und ich weiß, wo ich eingreifen muss.
Oder wo ich es lasse.
Und unabhängig von dem, was unten ist,
genieße ich es, einfach über den Dingen zu schweben,
einfach zu sein.
Frei wie ein Adler hoch oben im Himmel bekomme ich neue Kraft für die Aufgaben, die da unten auf mich warten.
Und nun machen wir einen Perspektivenwechsel: Schauen wir als Adler hoch oben im Himmel herunter zu uns Menschen hier unten auf der Erde:
Schaut,
sagt uns der Adler hoch oben im Himmel.
Hier oben kann ich es ganz deutlich sehen:
Ihr Menschen da unten
Mit eurem Gedanken-Karussell
Schaut, wie wichtig ihr euch nehmt
Wie ihr euch für unentbehrlich haltet.
Und Sondertagungen haltet
Und Krisensitzungen für unverzichtbar haltet,
selbst für nicht systemrelevante Menschen.
Schaut
Wie klein ihr Menschen seid und unbedeutend
Wie klein selbst eure Hochhäuser und Finanztürme sind.
Schaut
Wie klein selbst eure Kirchen und Dome sind
Und was gestern so wichtig war,
seht wie unwichtig und belanglos es heute ist.
Schaut, so wird es mit den ach so wichtigen Themen von heute sein.
Irgendwann wird Euch Corona unwichtig geworden sein
Und anderes drängt sich Euch in den Vordergrund.
In 10 Jahren sind die Probleme von heute die Probleme von gestern,
erledigt und vergessen.
Seht, was heute ewig zu sein scheint, ist irgendwann vorbei.
Schaut,
wie klein und relativ eure Menschen-Gedanken sind,
heute hier, morgen dort
wie ihr das große Ganze nicht begreifen können,
wie auch ganz unten auf eurem Standort.
Schaut
Die Sterne im Kosmos sind Gottes Werk.
Sie sind keine Götter, wie die Menschen um euch glauben.
Sie sind Sternenstaub wie alles auf dieser Welt, das euch in Beschlag nehmen will.
Schaut
Die Sterne sind keine Götter, auch die Dinge heute, die euch zu Sternen werden wollen:
Gesundheit um jeden Preis nicht,
Geld und Macht ebenso nicht,
Konsum auch nicht, Wohlstand und Erfolg auch nicht.
Nicht einmal das unverhoffte Glück auf Erden macht euch glücklich.
Schaut
Worauf es ankommt im Leben:
Dass ihr Menschen kennt, die euch lieben
Und ihr sie auch.
Dass eure menschlichen Beziehungen so gut gepflegt sind,
dass ihr euch in Krisenzeiten darauf zurückziehen könnt.
Schaut
Worauf es ankommt im Leben:
Dass eure Arbeit und euer Dasein
Euch Sinn gibt und ihr Sinnvolles tun könnt in eurem Leben.
Schaut
wer systemrelevant ist in Krisenzeiten:
nicht die Finanzmanager und Banker,
nicht die großen Stars und Champions,
nicht die Prominenten und Selbstdarsteller,
sondern die Menschen,
die an der Kasse, an der Mülltonne, im Altenheim, im Krankenhaus
ihren Mann bzw ihre Frau stehen.
Menschen, die da sind für andere.
Woher können wir also Kraft schöpfen in schwierigen Zeiten:
Wenn wir an die Sterne denken, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist auf Erden. Wir bekommen wie Adler Flügel, wir bekommen Abstand und Distanz zu dem, was uns gerade in Beschlag nimmt.
Was immer auch für dich und mich momentan Babylon oder Corona bedeutet und in Beschlag nimmt,
diese Zeit wird auch vorbei gehen
und wir werden die Kraft bekommen, diese Zeit zu durchstehen.
Amen.